Gender und gendersensible Sprache sind in aller Munde – und das nicht erst seit gestern. Überall begegnen uns hitzige Diskussionen, leidenschaftliche Debatten und leider auch viele Missverständnisse. Manche sehen darin eine übertriebene Modeerscheinung, andere eine dringende Notwendigkeit für mehr Gleichberechtigung und Sichtbarkeit. Klar ist: Sprache ist mächtig, und sie prägt unser Denken mehr, als wir oft wahrhaben wollen.
Viele verstehen das Gendern als umständlich, unnötig oder sogar als Angriff auf die deutsche Sprache. Doch was steckt wirklich hinter diesem Thema, das uns immer wieder polarisiert? Hinter den Sternchen, Doppelpunkten und kreativen Schreibweisen geht es um viel mehr als nur um Worte – es geht um Anerkennung, Sichtbarkeit und Gerechtigkeit. Es geht darum, Diskriminierung abzubauen und die Realität aller Geschlechter abzubilden. Denn was nicht benannt wird, bleibt unsichtbar und Unsichtbarkeit hat Konsequenzen.
In diesem Beitrag beleuchten wir den Hintergrund, warum gendersensible Sprache nicht nur eine nervige Detailarbeit ist, sondern ein wichtiger Schritt zu einer gerechteren Gesellschaft. Denn es ist höchste Zeit, dass Frauen und marginalisierte Gruppen endlich sichtbar werden - in allen Bereichen unseres Lebens.
Vor 75 Jahren, im Jahr 1949, ist das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verabschiedet worden. Neben 61 Männern im Parlamentarischen Rat sind 4 Frauen - Friederike Nadig, Elisabeth Seibert, Helene Weber und Helene Wessel -, maßgeblich daran beteiligt gewesen, dass die Gleichstellung der Geschlechter in Art. 3 Abs. 2 »Männer und Frauen sind gleichberechtigt« verankert worden ist.
Die Ausstellung "Mütter des Grundgesetzes" würdigt ihre Arbeit und erinnert uns daran, dass politisches Engagement auch heute notwendig ist, um Geschlechtergerechtigkeit tatsächlich zu erreichen. Die Herausforderungen sind vielfältig: Von der schwierigen Vereinbarkeit von Familie und Beruf, über den Kampf gegen Rollenklischees bis hin zu sexueller Belästigung und Diskriminierung. Eine frauenfeindliche Kommunikations- und Diskussionskultur ist nach wie vor allgegenwärtig.
Unser Ziel muss sein, die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern in allen Bereichen der Gesellschaft zu fördern, damit Art. 3 des Grundgesetzes endlich zur gelebten Realität wird - auch in unserer Sprache.
Sprache beeinflusst unser Denken, unsere Wahrnehmung und unsere Realität. Wenn Frauen und andere Geschlechter sprachlich nur "mitgemeint" sind, werden sie in unserer Vorstellung unsichtbar - ähnlich wie bei Harry Potter und dem, dessen Name nicht genannt werden darf. Es gilt: Was nicht benannt wird, ist nicht sichtbar. Sprache schafft Bewusstsein und kann deshalb entscheidend dazu beitragen, dass Gleichberechtigung nicht nur ein rechtliches Ideal, sondern auch gelebte Wirklichkeit wird. Doch Veränderung macht vielen Menschen Angst.
Im Englischen wird zwischen "Sex" (biologisches Geschlecht) und "Gender" (soziales Geschlecht) unterschieden. Im Deutschen gibt es nur das Wort "Geschlecht". Daher hat sich der Begriff "Gender" etabliert, um die sozialen Aspekte von Geschlechtsidentität zu benennen. Gender betrifft alle Bereiche unseres Lebens, es prägt die Wahrnehmungen, Identitäten und die Art und Weise, wie wir einander bewerten.
Gender umfasst dabei nicht nur Frauen und Männer, sondern auch nicht-binäre, trans- und intergeschlechtliche Personen. Begriffe wie "Gender Studies", "Gendern" und "Gender Pay Gap" beleuchten die unterschiedlichen Facetten der Geschlechtergerechtigkeit - von der akademischen Auseinandersetzung bis hin zu konkreten politischen Maßnahmen.
Das Gendern hat in den letzten Jahren heftige Diskussionen ausgelöst. Kritikerinnen und Kritiker werfen gendersensibler Sprache oft vor, unverständlich, unnötig oder schlichtweg störend zu sein. Tatsächlich werden Genderzeichen wie Sternchen, Doppelpunkte oder Gendergaps von vielen als Fremdkörper in der deutschen Sprache empfunden. Auch die Anwendung im gesprochenen Deutsch, etwa durch den sogenannten Glotisschlag, ruft Unmut hervor. Für mich klingt das, ehrlich gesagt, wie Schluckauf und es nervt mich.
Doch gendersensibles Schreiben und Sprechen kann auch mit herkömmlichen Mitteln erfolgen, die nicht auffallen und dennoch für mehr Sichtbarkeit sorgen. Anstelle von Genderzeichen können geschlechtsneutrale Begriffe wie "Lehrkräfte" statt "Lehrer*innen" verwendet werden oder das Partizip genutzt, zum Beispiel "Studierende" statt "Studenten". So bleibt der Text gut lesbar und gleichzeitig geschlechtergerecht. Sofern es sich natürlich um pauschale Beschreibungen handelt.
Studien der Psycholinguistik belegen, dass männliche Bezeichnungen oft nur auf Männer bezogen werden, selbst wenn Frauen "mitgemeint" sind. Besonders bei Berufsbezeichnungen ist dieser Effekt stark ausgeprägt. Gendersensible Sprache sorgt dafür, dass alle Geschlechter sichtbar werden und nicht nur beiläufig "mitgedacht" sind. Das ist ein kleiner, aber wichtiger Schritt hin zu einer gerechteren Gesellschaft.
Der Rat für deutsche Rechtschreibung hat Genderzeichen wie das Sternchen oder den Doppelpunkt bisher nicht in die offiziellen Rechtschreibregeln aufgenommen und sieht sie als fremd im deutschen Sprachraum. Dennoch unterstützt der Rat die Idee der Geschlechtergerechtigkeit beim Schreiben - allerdings mit den Mitteln der traditionellen Grammatik. Das bedeutet, dass es auch ohne Genderzeichen möglich ist, geschlechtergerecht zu schreiben und dies oft sogar lesefreundlicher ist.
Gendersensible Sprache ist kein Hexenwerk. Es geht nicht darum, Regeln zu brechen oder wahllos alles zu gendern, sondern darum, bewusst und kreativ zu schreiben. Der Fokus liegt darauf, geschlechtsneutrale Begriffe zu nutzen, wo sie sinnvoll sind und spezifische Bezeichnungen zu wählen, wenn es relevant ist.
Beispiele, wenn es eindeutig um mehrere Personen verschiedener Geschlechter geht:
Gendersensible Sprache bedeutet nicht, immer geschlechtsneutral zu formulieren, sondern die Identität und das Geschlecht sichtbar zu machen, wenn es relevant ist. Frauen und andere Geschlechter sollen genannt und gewürdigt werden, statt hinter neutralen Begriffen zu verschwinden.
Beispiele, wenn es eindeutig um Frauen geht:
Diese Formulierungen zeigen, dass es nicht um eine pauschale Neutralisierung, zwanghafte Mehrfachnennung geht. Vielmehr geht es darum, gezielt und bewusst zu entscheiden, wo geschlechterspezifische Nennungen angebracht sind, um die Vielfalt unserer Gesellschaft sichtbar zu machen und den Lesefluss dabei nicht zu stören.
Unsere Sprache formt Bilder in unseren Köpfen. Wenn nur Männer benannt werden, entsteht in unseren Vorstellungen eine einseitige, oft falsche Realität. Doch die Wahrheit ist, dass unsere Gesellschaft vielfältiger ist als die Sprache, die wir bisher verwendet haben. Gendersensible Sprache ist ein Werkzeug, das uns hilft, diese Vielfalt endlich sichtbar zu machen. Für eine Welt, in der alle Menschen die gleichen Chancen haben, unabhängig von ihrem Geschlecht.
Das Thema Gender beschränkt sich nicht nur auf die Sprache - es ist auch im medizinischen Bereich von entscheidender Bedeutung. Lange Zeit ist in der Medizin kaum zwischen den Geschlechtern differenziert worden. Die sogenannte Gendermedizin steckt immer noch in den Kinderschuhen. Doch inzwischen weiß man, dass Frauen anders erkranken als Männer. Sie zeigen oft andere Symptome, reagieren unterschiedlich auf Medikamente und haben teils abweichende Krankheitsverläufe.
Das Bild veranschaulicht ein tief verwurzeltes Problem: Frauenkörper sind in der Medizin lange Zeit nach männlichen Maßstäben betrachtet worden. Das hat fatale Folgen, wenn beispielsweise Herzinfarkte bei Frauen nicht rechtzeitig erkannt werden, weil ihre Symptome von den "typischen" - also männlichen - abweichen. Die Forschung hat begonnen, diese Unterschiede systematisch zu untersuchen. Aber es liegt noch ein weiter Weg vor uns.
Hier zeigt sich, wie gendersensible Sprache und ein differenzierter Blick auf Geschlechter in der Medizin Leben retten können. Wenn medizinisches Personal in der Ausbildung und Praxis geschlechterspezifischer Unterschiede bewusst berücksichtigen, können Diagnosen präziser gestellt und Behandlungen gezielter durchgeführt werden. Gendergerechte Forschung und Sprache sind deshalb mehr als ein Ausdruck von Gleichberechtigung - sie sind ein Schritt hin zu einer gerechten und lebensrettenden Gesundheitsversorgung.
Das Bewusstsein dafür, dass Frauen eben nicht nur "mitgemeint" sind, sondern eigene Bedürfnisse und Risiken haben, ist ein wichtiger Schlüssel zur Verbesserung der medizinischen Versorgung für alle Geschlechter. Es ist Zeit, den männlich geprägten Blick auf den "Körper des Menschen" zu erweitern - für eine Medizin, die wirklich alle Menschen sieht und versteht.
Sprache ist Macht. Sie formt unsere Wahrnehmung und hat das Potenzial, lebensrettend zu sein. Nutzen wir sie weise.
Es ist an der Zeit, unsere Sprache und damit unsere Gesellschaft gerechter zu gestalten. Lasst uns diese Chance nutzen.
Und wenn Ihr Hilfe beim Formulieren benötigt, lasst es mich wissen und ich eile Euch zu Hilfe.
Copyright © Alle Rechte vorbehalten / 2024 - Christien Marie Wach